Freitag, 4. Juni 2010

Schultraditionen an einer deutschen Auslandsschule

Es ist Freitag Anfang Juni und ich fühle mich so wie jeden Dienstag Abend während meiner Arbeit an der Borwinschule: Endlich Luft holen und ein paar freie Stunden genießen. Wir haben eine Woche Ferien, was unglaublich nach der vielen Arbeit ist und wir neuen Kollegen wissen gar nicht, was uns geschieht. Gerade heute war noch einmal ein Tag mit Schockern. In der 4. Stunde meinten die Schüler meiner Klasse, dass es doch heute Zeugnisse gebe. Aha. Das war doch sehr neu für mich. Vor zwei Tagen hatten wir bis in die Abendstunden alle unsere Fachnoten in den Computer eintragen müssen, was bei guter Musik und viel Lachen und Herzenswärme der ecuadorianischen Kollegen inmitten des Stresses aushaltbar war. Aber dass da auch Zeugnisse herauskommen sollen, die ich in besondere Mappen heften muss mit Erklärungen der Noten in Spanisch und Deutsch, die für einen deutschen Kollegen gar keinen Sinn machen, war mir völlig unbekannt. Nun ja, ich hätte alle Zettel an der Pinnwand lesen müssen. Wie zu Hause in Rostock, nur dass hier noch nichts lesbar für mich ist. Da ich auch oft helfe, wurde mir auch geholfen und zwei Stunden später hatten meine Schüler ihre Zeugnisse zum ersten von vier Malen im Jahr in der Hand. Stressiger war die Einsicht in ein Wörterbuch, in dem auf vielen Seiten kleine Bätter mit Sätzen für meine Geschichtskausur eingeklebt waren. Das bedeutet Elterngespräche auf spanisch und vor allem die Konfrontation mit dem Umgang der Ecuadorianer mit der Wahrheit. Das ist nun wirklich ein Kulturschock. Und trotzdem heißt auch das wie vieles andere, dass es zwei sehr verschiedene Kulturen und unsere Werte nicht automatisch die besseren sind, obwohl wir alle schon öfter ins Zweifeln kommen - natürlich auch über uns Deutsche. Es bleibt spannend für mich in jeder Form!!
Nun gut: Es sind also Ferien. Wie fühlt sich das an ? Die jungen Kollegen fahren zusammen nach Galapagos. Tolle Sache! Ich freue mich schon auf die Tage, in denen es für mich so weit sein wird. Mit Freunden und hoffentlich Familie aus Rostock, de verdad? Nicht wahr? Mein erstes Examen an der Universität (Yo quisiera aprender espanol!) habe ich heute bestanden. Mit muy bien! In der nächsten Woche geht es weiter - Intensivstunden im Erlernen der Fremdsprache in Cuenca, einer alten wunderschönen Kolonialstadt mit viel Ruhe und Flair. Es wird wie Urlaub sein. An die Aufgaben danach muss ich ja noch nicht denken. Ich habe alle Geschichtssachen wieder aus meinem Rucksack ausgepackt. Eine echte Pause tut gut.
Auf den Bildern seht ihr den actodecivico der Deutschen Humboldtschule in Guayaquil. Für dieses Wort gibt es keine Übersetzung, wie ich gerade gemerkt habe. Mir ist eher wenig als viel klar. Ich merke erst einmal nur, dass er mich nicht erschreckt hat in aller seiner Diszipliniertheit und Organisiertheit. Ich bin ja in Südamerika und nicht in Deutschland. Im ersten Bild sind die Schlussminuten zu sehen. Alle die Schüler mussten nacheinander in kleinen Gruppen herein marschieren bei viel Blasmusik. (Unsere armen Sportlehrer mussten das viele Nachmittage üben. Ein Wunder, dass es bei der südamerikanischen Mentalität gelingt.) Immer die jüngsten stehen den ältesten Schülern ganz zum Schluss gegenüber. Es werden die ecuadorianische und die deutsche Nationhymne gesungen, die Fahnenträger sind die allerbesten Schüler. Im September soll es alles noch eine Nummer schärfer werden. Ich habe vergessen, wer geehrt wird. Aber da knien die Schüler vor der Nationalflagge und küssen sie. In der angenehmen Wärme hier finde ich alles schön und interessant und ich kann nicht immer unterscheiden: Ist das noch Euphorie und Wirklichkeitsverlust oder fühle ich die Wirklichkeit einer anderen Kultur? Vamos mirar! (Wir werden sehen!)
Viel Spaß mit den Fotos dieses für uns "Ostdeutsche" seit 1989 ungewöhnlichen Vorganges!


















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