Samstag, 22. Mai 2010

Das andere Guayaquil oder auch das Guayaquil der Mehrheit


Mit einem geborgten Fotoapparat anstatt meines gestohlenen sind endlich wieder ein paar anschauliche Erinnerungen möglich. Am letzten Sonnabend war ich mit zwei meiner sehr viel jüngeren Kolleginnen in einem Wohnviertel von Guayaquil, in dem die wirklich Armen leben, unterwegs. Katharina arbeitet hier öfter: Sie macht Weiterbildungsarbeit mit Lehrerinnen aus Schulen dieser Wohngebiete oder Theaterarbeit mit Kindern. Sie hatte die Idee, gemeinsam mit den Kindern und Müttern Bildungsmaterial anzufertigen und hat Ann- Kathrin und mich um Hilfe gebeten. Wir waren gern dazu bereit - eine Chance außerhalb unserer Insel der Reichen etwas mehr vom wahrscheinlich stärker authentischen Südamerika zu erfahren. Was nun wirklich alles Leben in Südamerika bedeutet, kann ich in meinen vielen Monaten des hier Verweilens ganz sicher erfahren. Zuerst ist mir das Erlernen der Sprache am wichtigsten, ohne sie sind es keine vollen Erlebnisse. Die Kinder, die auf den Bildern zu sehen sind und die voll stiller Freude kleine Puzzle, Mathe- oder Buchstabenübungen mit uns gebastelt haben, guckten immer ganz verschämt nach unten, wenn ich mal etwas auf spanisch gesagt habe. Es ist ihnen einfach zu fremd. Und so selbstbewusst, um irgendwie zu reagieren, sind diese Kinder nicht. Ganz genügsam, bescheiden, geduldig und sehr dankbar.
Unsere Eindrücke waren fordernd und stressend: Sehr kranke Menschen mitten drin in diesen Lebensverhältnissen, in denen die Menschen Löcher unter ihren Häusern ausheben für Abfälle und Fäkalien und kein fließendes Wasser haben. Ein Tankwagen kommt - viel Wasser kann es nicht für alle sein. Geduscht wurde mit Tropfen aus einem Abflussrohr. Wir haben auch viele Marktstände erlebt mit gerade geschlachteten und frei in der heißen Luft hängenden Hühnern, halben Rindern und tausenden Fischen. Ein Meter weiter riesige Abfallberge - wahrscheinlich auch mit Hühnern und halben Rindern. Der Gestank war unfassbar. Dass die Menschen da irgendwie ohne Nachfolgeerkrankungen einkaufen, ist kaum vorstellbar.
Aber es ist kein Leben in gedrückter Stimmung. Viel Musik, Aktivität und ein allgemein buntes Treiben. Die Menschen sind sehr sauber angezogen und wirken durchaus glücklich. Es fällt mir immer noch schwer, alle Eindrücke in einen inneren Zusammenhang zu bringen. Dieses Leben ist zu fremd, um es mit unserem Geist zu fassen. Das sehr bunte Treiben empfand ich auch als furchtbar lärmend. Fünf Taximinuten entfernt davon völlig stille Wohnviertel der Reichen. Leben oder auch nicht Leben hinter Mauern. Katharinas Freundin, die mit uns Taxi fuhr und die Entwicklungshelferin von den Philipinen ist, sagte: "Das ist ein Kulturschock und kein Leben." Sie wohnt mitten drin im anderen Guayaquil. Nun ja, es gibt mir alles immer noch viel zu denken. Auf jeden Fall gehöre ich mit meinem jetzigen und auch meinem Rostocker Leben zu den wenigen Prozent der Erdbevölkerung, die Luxus leben. Das sehr dicht zu fühlen, ist eine enorme Erfahrung.
Was nicht bedeutet, dass es nicht ähnlich nahe gehende Erlebnisse mit meinen Schülern, zumeist den Kindern der Reichsten, gibt. Im Zusammenhang mit der Behandlung von Max Frischs "Andorra" war die Modernität des Werkes Thema. Vor allem Vorurteile heute: Und die Ergebnisse ihrer selbstständigen Recherche haben mich und stellenweise auch sie erschüttert: Xenephobie in Spanien und Südamerika gegen Menschen aus Ecuador oder Kolumbien. Argentinier oder Spanier sind die beseren spanisch sprechenden Menschen. Mein Gott, wie ewig gestrig die Menschen unserer Welt sind!
Mit meinen Schülern mache ich auf jeden Fall auch viele spannende Entdeckungen. Die Schüler meiner eigenen 11.Klasse und ich haben zwei gemeinsame Vorhaben: Sie wollen mir im historischen Museum das alte Guayaquil und die Tierwelt Ecuadors zeigen. Danach wollen wir essen gehen und zwei Wochen später mit einem Schiff fahren. Das wird mein nächster Blog. Meine Arbeit mit ihnen macht mir viel Freude.

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